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08.02.2021 10:00

Landesweites Netzwerk bringt Tierschutz und Forschung voran

Sabrina Schüle Pressestelle
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

    Tierversuche werden auf absehbare Zeit ein unverzichtbarer Baustein im Methodenmix der Forschung bleiben, auch in der biomedizinischen Forschung. Im Sinne des Tierschutzes wie auch mit Blick auf die Qualität der Ergebnisse sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer darum bemüht, Tierversuche kontinuierlich zu verbessern, zu verringern oder zu vermeiden – ganz im Sinne des im deutschen Tierschutzgesetz verankerten 3R-Prinzips (Vermeidung, Verringerung und Verbesserung = Replacement, Reduction, Refinement – 3R).

    Mit dem Aufbau eines flächendeckenden 3R-Netzwerks, das alle wesentlichen biomedizinischen Standorte im Land einbezieht, wählt Baden-Württemberg einen neuen Ansatz, um die wissenschaftliche Forschung und den Tierschutz gleichermaßen zu verbessern. Damit führt das Wissenschaftsministerium seine Strategie weiter fort und Stärken zusammen.

    „Die biomedizinische Forschung ist ein wichtiger Pfeiler der exzellenten baden-württembergischen Forschung. Gerade in dieser von der COVID-19-Pandemie geprägten Zeit zeigt sich, wie wichtig eine breit aufgestellte, gut ausgestattete Wissenschaftslandschaft ist. Genauso wichtig ist es, fortwährend an der Stärkung und Verbesserung der Wissenschaft zu arbeiten, damit wir uns auch in Zukunft auf unsere Forschung verlassen können. Die 3R-Initiative leistet einen zentralen Beitrag dazu, die biomedizinische Forschung – eine der spezifischen Stärken des Landes – weiter voranzubringen und den Tierschutz in Forschung und Lehre zu verbessern“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am Montag (8. Februar) in Stuttgart. Mehr Tierschutz und bessere Forschung seien keine Gegensätze – „ganz im Gegenteil – wir bringen beides zusammen.“

    Beteiligt am „3R-Netzwerk BW“ sind alle in der Biomedizin aktiven Standorte in Baden-Württemberg – von Mannheim bis Konstanz und von Freiburg bis Ulm. Neben den sich räumlich über ganz Baden-Württemberg erstreckenden Aktivitäten decken die Netzwerkpartner mit ihren Projekten auch ein breites Themenspektrum verschiedener Refine-, Reduce- und vor allem Replace-Maßnahmen ab. Dabei werden verschiedene Organe und Krankheiten, u.a. Hirn, Darm, Brust oder Eierstock, fokussiert und von unterschiedlichen Disziplinen, wie Medizin, Biologie, Mathematik oder Simulationswissenschaft, angegangen. „Das 3R-Netzwerk deckt vielfältige und hochrelevante Bereiche und Fragestellungen in Forschung und Lehre ab“, so Bauer.

    Das Wissenschaftsministerium finanziert mit 3,8 Mio. Euro jeweils rund 70 Prozent der Gesamtkosten der Projektvorhaben, 30 Prozent steuern die Hochschulen als Eigenbeitrag bei. Die Anschubfinanzierung soll die Hochschulen dabei unterstützen, tragfähige Strukturen aufzubauen, die die vorhandene Expertise bündeln und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema gewährleisten.

    „Mit unserem landesweiten 3R-Netzwerk setzen wir in Baden-Württemberg an der richtigen Stelle an und entwickeln die passende Strategie – kein Land arbeitet so kraftvoll und vernetzt daran, den Tierschutz in der Forschung gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen voranzubringen. Ich bin mir sicher, dass unsere Universitäten und Hochschulen mit wissenschaftlich ambitionierten Projekten herausragende Fortschritte erzielen werden – für die Forschung und den Tierschutz“, betonte Bauer.  
    „3R-Netzwerk Baden-Württemberg“: Starke Partner, zehn Projekte

    Gemeinsam mit dem bereits im Frühjahr 2020 gegründeten „3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen“ in Tübingen/Reutlingen werden künftig vier weitere Zentren das Grundgerüst des „3R-Netzwerk Baden-Württemberg“ bilden: das „3R-Zentrum Rhein-Neckar“ der Universität Heidelberg mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, das „3R-US Netzwerk“ der Universität Stuttgart und des Robert-Bosch-Krankenhauses, das „CAAT-Europe“ (Center for Alternatives to Animal Testing in Europe) der Universität Konstanz mit der Johns Hopkins University und das „Interdisziplinäre Zentrum zur Erforschung von Darmgesundheit“ an der Universität Heidelberg.

    „Mit der Förderung dreier weiterer Projekte, die eher Forschungscharakter haben, an den Universitäten in Heidelberg, Ulm und Freiburg binden wir von Anfang an eine breit aufgestellte Expertise ein und füllen das Netzwerk mit weiterem Leben. Und auch die Lehre nehmen wir in den Blick“, so Bauer weiter. Zusätzlich gefördert würden zwei Projekte aus dem Bereich Aus- und Weiterbildung an der Hochschule Reutlingen und an der Universität Ulm.

    Ergänzt wird das Netzwerk durch die im Jahr 2018 eingesetzte und vom Land kofinanzierte Juniorbrückenprofessur „Organ-on-a-Chip“ zwischen der Universität Tübingen und dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. Diese beschäftigt sich mit der Entwicklung und Anwendung von neuartigen Organ-on-a-chip-Systemen. Dabei handelt es sich um die Simulation von Organen als Zellkultur auf einem Chip.

    „Langfristig wird in Baden-Württemberg ein solides 3R-Netzwerk entstehen, das die unterschiedliche Expertise der Standorte bündelt und die Entwicklung und Anwendung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch weiter in der baden-württembergischen Forschungslandschaft verankert. Damit erfährt nicht nur der Tierschutz die notwendige Aufmerksamkeit. Das 3R-Netzwerk unterstützt auch die stetige Qualitätsverbesserung der biomedizinischen Forschung – und macht unsere Wissenschaft damit noch leistungsfähiger, um neuen Herausforderungen wie COVID-19 zu begegnen“, zeigte sich Ministerin Bauer überzeugt.
    „Die Etablierung eines landesweiten 3R-Netzwerks in dieser thematischen Tiefe und Breite ist bundesweit einmalig und bringt Tierschutz wie Forschung gleichermaßen voran. Eine Win-win-Situation. Baden-Württemberg ist wieder einmal Pionier – das 3R-Netzwerk hat Modellcharakter“, betonte die Wissenschaftsministerin.

    Baden-württembergische Forscher*innen wurden mehrfach für ihre Leistungen zur Verbesserung des Tierschutzes ausgezeichnet – so wurde beispielsweise der Tierschutzforschungspreis des Bundeslandwirtschaftsministeriums im vergangenen Jahr an Dr. Anne-Katrin Rohlfing vom Universitätsklinikum Tübingen verliehen. Der wichtigste wissenschaftliche Tierschutzpreis Deutschlands – der Ursula M. Händel-Tierschutzpreis der DFG – ging mit der Verleihung an Prof. Marcel Leist und Prof. Thomas Hartung vom CAAT-Europe in Konstanz im Jahr 2020 bereits zum sechsten Mal nach Baden-Württemberg.

    Weitere Informationen:

    Geförderte Projekte im 3R-Netzwerk Baden-Württemberg:
    Bereits seit dem Frühjahr 2020 unterstützt das MWK das „3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen“, das gemeinsam von der Universität Tübingen und dem NMI Reutlingen aufgebaut wird. Das 3R-Center Tübingen, für das eine neue W3-Professur für Organ-on-a-Chip Systeme eingerichtet wurde, soll als landesweites Querschnitts-Center Grundlagenforscherinnen und Grundlagenforschern im Land einen niederschwelligen Zugang zu neuartigen In-vitro-Modellen ermöglichen. Im Schwerpunkt „Replace“ wird eine Technologieplattform aufgebaut, die unterschiedlich komplexe In-vitro-Modelle – kommerziell erhältliche und bereits ausgetestete Prototypen aus der eigenen Entwicklung und der von Partnern – umfasst. Weiterbildungsworkshops für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Lehrmodule in Studiengängen sollen die Anwendung und Entwicklung der neuen Technologien mittel- und langfristig fördern. Darüber hinaus ist eine Informations- und Kommunikationsplattform geplant.

    Die Geschäftsstelle des 3R-Centers Tübingen wird auch die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den neuen geförderten Vorhaben im 3R-Netzwerk und damit den Aufbau eines tragfähigen Verbunds unterstützen.

    Das im Raum Mannheim/Heidelberg entstehende „3R-Zentrum Rhein-Neckar“, welches die Universität Heidelberg gemeinsam mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim verantwortet, ergänzt mit seinem Fokus auf „Refine“ und „Reduce“ den Tübinger Schwerpunkt ideal. Das 3R-Zentrum Rhein-Neckar verfolgt zunächst vier Hauptaspekte: Aufbau einer zentralen Datenbank für Tiermaterial, Aktivitäten in Weiterbildung und Lehre sowie Open Access, Hilfe zur Gestaltung neuer Experimente und Betreuung interner 3R-Forschungsaktivitäten.

    Mit einem Schwerpunkt auf molekularer Diagnostik, Biomaterialien und Simulation werden im „3R-US Netzwerk Ex-vivo Tumorgewebe-Plattform als Ersatz für Tierversuche“ der Universität Stuttgart und des Robert-Bosch-Krankenhaus/Institut für Klinische Pharmakologie neue Akzente für die Integration von Ingenieurwissenschaft in die biomedizinische Forschung gesetzt. Im Stuttgart Research Fokus SRF „Biomedical System“ ist die Etablierung einer vaskularisierten ex-vivo Technologie-Plattform geplant, welche die Komplexität und Heterogenität eines humanen Tumors (hier Brustkrebs und Eierstock) widerspiegelt, um die Erprobung neuer, zielgerichteter Therapeutika und Kombinationstherapien zu erlauben. Tumormodelle sollen aus Biomaterialien und Zellen mit 3D-Druckverfahren naturgetreu als Ersatzsystem für Tierversuche aufgebaut werden. Langfristig sollen die ex-vivo gewonnenen Daten eine Basis für die Entwicklung von in silico Tumormodellen für die Simulation und Prädiktion therapeutischer Effekte bilden.

    CAAT-Europe (Center for Alternatives to Animal Testing in Europe), das transatlantische Bündnis zwischen der Universität Konstanz und der Johns Hopkins University, wird sich mit dem Vorhaben „Forschungs- und Harmonisierungsmaßnahmen zur Förderung der Akzeptanz tierfreier neuer Ansatzmethoden in verschiedenen Interessengruppen (NAM-ACCEPT)“ in das baden-württembergische Netzwerk einbringen. Der Fokus liegt hier auf einer besseren in-vitro zu in-vivo- Übertragbarkeit, was besonders in Punkto Stofftransport von Wirkstoffen (Biokinetik) und deren gewollter und ungewollter Effekte eine hohe Relevanz in der Therapie hat. Zudem wird eine weitere internationale Standardisierung und Harmonisierung neuerer Methoden und der Datenverarbeitung angestrebt.

    Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch werden in der Regel anhand konkreter Forschungsfragen entwickelt. Ein sehr anschauliches Beispiel hierfür ist die Arbeit am geplanten Interdisziplinären Zentrum zur Erforschung von Darmgesundheit (IDZG), welches an der Universität Heidelberg aufgebaut und auf 3R-Aktivitäten ausgeweitet werden soll. Die Beteiligten widmen sich der Erforschung von Darmerkrankungen. Konkret geht es um die personalisierte Analyse von Funktionsstörungen des Darmnervensystems anhand von Patientendaten und individueller in-vitro-Modelle. Langfristiges Ziel ist die Generierung patientenspezifischer 3D-Organoide, bestehend aus Darmepithel, Immun- und Nervenzellen, in welchen die individuelle Organfunktion nachgeahmt werden kann, um damit zu einem besseren Verständnis und zur besseren Behandlung von Darmerkrankungen beizutragen.

    Komplettiert wird das 3R-Netzwerk durch folgende fünf Vorhaben aus Forschung, Aus- und Weiterbildung:

    - Überwindung translationaler Hürden – Verbesserung der Evidenz und des prädiktiven Wertes bei experimenteller Forschung Universität Freiburg
    Hier soll ein systematischer, meta-analytischer Ansatz zur Detektion und Korrektur von momentan vorherrschendem „Publikationsbias“ entwickelt werden, um die Übertragung von präklinischen Studien zu Rückenmarksverletzungen in die Anwendung ohne zusätzliche Tierversuche zu verbessern.

    - Refinement in komplexen belastenden Versuchen an Mäusen
    Universität Ulm
    Dieses Vorhaben wird die Versuche aus der Traumaforschung in Ulm begleiten und Refinement-Maßnahmen für Tiere, die durch Experimente oder die Zucht besonders belastet sind, etablieren und verbessern.

    - Charakterisierung und Weiterentwicklung heterotypischer 3D-Sphäroide aus Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen Universität Heidelberg
    Für die Etablierung individualisierter Therapien für Plattenepithelkarzinome sollen 3D-Sphäroide, die die Tumorarchitektur widerspiegeln, optimiert und weiterentwickelt werden. Dabei werden humanisierte Kulturbedingungen verwendet, um fetales Kälberserum zu ersetzen.

    - 3R-BioMED-Lab Hochschule Reutlingen
    Das Projektlernlabor BioMED für Studierende im Bachelorstudiengang Biomedizinische Wissenschaften soll erweitert werden um 3D-Bioprinting Methoden und ein Videorepositorium (Erstellung von YouTube Videos von und für Studierende), die praxisbezogene Wissensvermittlung sowie die Reflexionsfähigkeit ethischer und rechtlicher Aspekte von Tierversuchen. Dies soll zu einer vertieften Ausbildung im 3R-Bereich für angehende Absolventinnen und Absolventen führen.

    - „5R-Kurse (Reduction, Refinement, Replacement, Rigour and Reproducibility)“ zur Verbesserung der Qualität von tierexperimentellen Studien in der biomedizinischen Forschung Universität Ulm
    Ziel ist die Etablierung und Durchführung anerkannter, zertifizierter „5R-Kurse“ zur Verbesserung der Qualität von Tierexperimentellen Studien in der biomedizinischen Forschung. Die Kurse werden den gesamten Animal Welfare-Bereich im Tierversuch abdecken mit zwei Schwerpunkten: (1) Belastungen im Tierversuch erkennen und reduzieren und (2) zeitgemäßes Qualitätsmanagement im Tierversuch zur Steigerung der Reproduzierbarkeit von Tierversuchen und der Translationsquote. Die Kurse wenden sich an Wissenschaftler*innen, Tierschutzbeauftragte, Tierhausleiter*innen und Behördenvertreter*innen.

    Zahlen, Daten & Fakten: 3R-Netzwerk BW (siehe Anlage)


    Bilder

    Anhang
    attachment icon Zahlen, Daten & Fakten: 3R-Netzwerk BW

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin, Tier / Land / Forst
    überregional
    Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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